Frankfurt University of Applied Sciences veröffentlicht die Ergebnisse einer Befragung zur Sperrung der Schiersteiner Brücke

Die Schiersteiner Rheinbrücke stand in den letzten Tagen im Mittelpunkt fast jeder Nachrichtensendung. Alles Interessante und Wissenswerte konnte man in den Wiesbadener Tageszeitungen lesen.  Die Frankfurt University of Applied Sciences veröffentlichte heute die Ergebnisse einer Befragung zur Sperrung der Schiersteiner Brücke (A643).  Diese Ergebnisse stellen wir auf unserer Seite gerne vor und bedanken uns für die Überlassung der Unterlagen.

Die Schiersteiner Brücke aus verkehrswissenschaftlicher Perspektive

Die Sperrung der Schiersteiner Brücke (A643) stellte einen wesentlichen Eingriff in das Mobilitätsverhalten tausender Bürgerinnen und Bürger im Rhein-Main-Gebiet dar. Rund 90.000 Kraftfahrzeuge passierten die Brücke täglich. Die Sperrung erforderte eine andere Abwicklung des Verkehrsaufkommens und stellte den Straßenverkehr und den Öffentlichen Nahverkehr vor große Aufgaben. Die in diesem Ausmaß einmalige Situation haben die Verkehrswissenschaftler Prof. Dr. Petra K. Schäfer und Prof. Dr. Josef Becker von der Frankfurt University of Applied Sciences (FRA-UAS) zum Anlass für eine verkehrswissenschaftliche Studie genommen. Ziel war es, die Veränderungen im Mobilitätsverhalten zu evaluieren, die durch dieses Ereignis hervorgerufen wurden: Wie sind die Menschen vor der Sperrung unterwegs gewesen? Welche Änderungen haben sich durch die Verkehrsbehinderungen ergeben? Welche Strategien wurden entwickelt? Wie planen die Menschen künftig ihre täglichen Wege zurückzulegen?

Methodik und Zielgruppe
Das Forscherteam der Fachgruppe Neue Mobilität an der Frankfurt UAS führte eine Online-Befragung durch, an der insgesamt rund 1.500 Menschen aus dem Rhein-Main-Gebiet teilnahmen, die von der Sperrung betroffen waren. Für die vorliegende Auswertung wurden rund 1.000 Datensätze von denjenigen Befragten herangezogen, die den Rhein im Regelfall überqueren. Für die anderen Teilgruppen sind separate Auswertungen zu einem späteren Zeitpunkt geplant. Die Befragung ist nicht repräsentativ. Die Befragten sind zu 58 % männlich und zu 41 % weiblich; ein Prozent hat keine Angabe zum Geschlecht gemacht. Der Großteil der Befragten ist zwischen 27 und 62 Jahre alt (90 %) und Vollzeit erwerbstätig (78 %). Als Hauptzweck der Fortbewegung wurde die Fahrt zum Arbeitsplatz angegeben (76 %). Auf Dienstfahrten entfielen 8 %, auf Einkaufsfahrten 5%, auf Fahrten zu Bildungseinrichtungen 3 % und auf sonstige Fahrten 8 %. Rund 86 % der Befragten legen ihre Wege montags bis freitags zurück.

Ergebnisse

Motorisierter Individualverkehr versus Öffentlicher Verkehr
„Die Sperrung der Schiersteiner Brücke und das damit verbundene erhöhte Verkehrsaufkommen im gesamten regionalen Verkehrsnetz hat die Verkehrsmittelwahl der Befragten maßgeblich beeinflusst. Es zeigten sich zunächst kleinere Verschiebungen zwischen dem motorisierten Individualverkehr und dem Öffentlichen Verkehr, aber fast ein Sechstel der Befragten verzichteten am ersten Tag der Sperrung gänzlich auf den Fahrtweg. Der Anteil am Öffentlichen Verkehr erhöhte sich im weiteren Verlauf der Sperrung, wurde aber nur von einem Teil der Befragten als Alternative angenommen“, fasst Prof. Dr. Petra K. Schäfer zusammen. Die Nutzung des motorisierten Individualverkehrs (MIV) ist von 84 % vor der Sperrung auf rund 64 % am ersten Tag der Sperrung gesunken. Die Nutzung des Öffentlichen Verkehrs (ÖV) stieg im gleichen Zeitraum von 11 % auf knapp 15 %. Auffällig ist, dass 17 % der Befragten angaben, am ersten Tag der Sperrung die Überquerung des Rheins gemieden zu haben. Im weiteren Verlauf blieb der Anteil des MIV mit 66 % stabil. Die ÖV-Nutzung erfuhr im Verlauf einen weiteren Anstieg um 8 %, somit von knapp 15 % am ersten Tag auf 23 %. Dieser Wert resultierte primär aus den Personen, welche am ersten Tag der Sperrung kein Verkehrsmittel genutzt haben. Zudem war ein Anstieg der Fahrradnutzung von 3 % vor der Sperrung auf 5 % zu beobachten.

Rheinüberquerungs-Möglichkeiten
„Die wesentlichen Ausweichstrecken im motorisierten Individualverkehr sind die Weisenauer Brücke und die Theodor-Heuss-Brücke. Diese nahmen die größten Anteile des Verkehrs der gesperrten Brücke auf. Die Fähren spielten erwartungsgemäß insgesamt nur eine vergleichsweise untergeordnete Rolle bei der Überquerung des Rheins“, erklärt Prof. Dr. Josef Becker. Vor der Sperrung nutzten 60 % der Befragten die Schiersteiner Brücke als gewöhnliche Rheinüberquerung; etwa 19 % der Befragten nutzten die Weisenauer Brücke und etwa 16 % die Theodor-Heuss-Brücke. Am ersten Tag der Sperrung und im weiteren Verlauf stiegen die Anteile der zwei zuletzt genannten Brücken dementsprechend deutlich: Weisenauer Brücke = 35 % am ersten Tag, im weiteren Verlauf = 44 %; Theodor-Heuss-Brücke = 27 % am ersten Tag, im weiteren Verlauf = 29 %. Im gleichen Zeitraum ist die Anzahl der Befragten, welche den Rhein mit einer Fähre überquerten, von wenigen Prozentpunkten auf 8 % angestiegen, dies auch durch die neu geschaffene Fährverbindung zwischen Budenheim und Walluf.

Zeitliche Einbußen
„Die unerwartete Sperrung der Schiersteiner Brücke ließ die Betroffenen schnell Strategien entwickeln, um der Situation Herr zu werden, jedoch nicht ohne Kompromisse: So verlängerte sich die Reisezeit am ersten Tag der Sperrung um durchschnittlich 1 Stunde und 23 Minuten und sank im weiteren Verlauf auf eine Verlängerung von 43 Minuten für den Hin- und Rückweg“, so Schäfer. Am ersten Tag hat sich die Reisezeit auf dem Hinweg um durchschnittlich 50 Minuten verlängert, auf dem Rückweg um 33 Minuten. Im weiteren Verlauf zeigt sich eine verlängerte Reisezeit von 21 Minuten auf dem Hin- und 22 Minuten auf dem Rückweg.

Kompensation der Sperrung
„Alternativen wie Gleitzeit, Homeoffice oder externe Übernachtungen wurden von über einem Drittel der Befragten genutzt. Wesentlich war hierbei die Veränderung der Arbeitszeiten durch andere Schichtzeiten oder die Nutzung von Gleitzeit. Homeoffice kam für rund ein Viertel der Befragten in Betracht, die eine Alternative zur Kompensierung der Sperrung nutzten“, erläutert Becker. 45 % der Befragten gaben an, dass keine alternativen Methoden möglich oder gewollt waren. Bei 18 % waren sie nicht notwendig und 37 % nutzten Alternativen. Von den Personen, die eine Alternative nutzten, gaben 53 % an, dass sie am ersten Tag der Sperrung ihre Arbeitszeit entsprechend angepasst hätten (Gleitzeit, Schichtwechsel). Dieser Wert verringert sich im Laufe der Sperrung auf 49 %. Die Möglichkeit des Homeoffice nutzten am ersten Tag 19 % und im weiteren Verlauf bis zu 25 %. Nur wenige Personen nutzten externe Übernachtungsmöglichkeiten im Hotel oder bei Verwandten und Freunden. Ungeplanten Urlaub nahmen am Tag der Sperrung und auch im weiteren Verlauf der Sperrung 7 % der Personen.

Zusatzkosten
Bei der Frage, welche Zusatzkosten durch die Änderung des Mobilitätsverhaltens entstanden seien, zogen die Befragten unterschiedliche Maßstäbe zur Bewertung der Mehrkosten heran. Während die meisten Befragten lediglich geringe Kostenaufschläge für weitere Wege mit dem Pkw oder einzelne Fahrten mit dem ÖV kalkulierten, versuchten andere Befragte sämtliche Folgekosten (z. B. Lohnausfall) zu kalkulieren. So lag der Mittelwert bei rund 60 Euro pro Tag und Person. Ausgewertet nach der Häufigkeit der Angaben zu den Mehrkosten ergab sich ein Median von 4 Euro pro Person und Tag. Somit lassen sich die tatsächlichen Mehrkosten nicht abschließend bestimmen.

Informationssituation
„In einer Situation, die den Alltag der Bürgerinnen und Bürger so stark beeinflusst, ist eine gute Informationslage zur verkehrlichen Situation besonders wichtig. Unser Ergebnis ist, dass sich die Betroffenen insbesondere über das Angebot des Öffentlichen Verkehrs und der Fähren zunächst nicht ausreichend informiert fühlten. Dies änderte sich im weiteren Verlauf der Sperrung“, fasst Schäfer zusammen. Zum Straßenverkehr haben sich 45 % der Befragten am ersten Tag der Sperrung tendenziell „gut“ oder „sehr gut“ informiert gefühlt. Das Meinungsbild hat sich im weiteren Verlauf der Sperrung auf 62 % verbessert. Weitaus schlechter wird die Informationslage im Bereich des Öffentlichen Verkehrs und beim Fährverkehr am ersten Sperrungstag bewertet. Tendenziell „gut“ oder „sehr gut“ äußerten sich zum ersten Tag der Sperrung nur 23 % zum ÖV und 20 % zum Fährverkehr. Im weiteren Verlauf haben sich die Werte ebenfalls deutlich verbessert. Es muss auch berücksichtigt werden, dass sich insbesondere im ÖV und im Fährverkehr viele Befragten gar nicht informiert haben, weil sie primär den MIV nutzen.

Bewertung der genutzten Verkehrsmittel
„Die insgesamt stark angespannte Verkehrssituation wirkt sich auch auf die Zufriedenheit mit den Verkehrsmitteln aus. Insgesamt zeigten sich die Befragten weniger zufrieden mit den von ihnen im Verlauf der Sperrung genutzten Verkehrsmitteln. Dies ist auf die eingeschränkte zeitliche Flexibilität und die verlängerte Reisedauer zurückzuführen“, so Becker. Bei der Bewertung der genutzten Verkehrsmittel zeigt sich, dass 61 % der Befragten unzufriedener mit dem jeweiligen Verkehrsmittel waren. Lediglich 5 % der Befragten gaben an, dass sie mit dem Verkehrsmittel, das sie während der Sperrung nutzten, zufriedener waren als vor der Sperrung. Nur 7 % aller Befragten planen, ihr geändertes Mobilitätsverhalten beizubehalten oder zukünftig ganz anders unterwegs zu sein.

Offizielle Webseite zur Schiersteiner Brücke: www.schiersteinerbruecke.de

Über die Fachgruppe Neue Mobilität:
Die Fachgruppe Neue Mobilität ist dem Fachbereich 1: Architektur • Bauingenieurwesen • Geomatik der Frankfurt University of Applied Sciences (FRA-UAS) zugeordnet. Das interdisziplinäre Team besteht aus Verkehrs-, Stadt-, und Infrastrukturplaner(inne)n und wird seit 2007 von Prof. Dr.-Ing. Petra K. Schäfer geleitet. Die Lehrtätigkeiten der Fachgruppe erstrecken sich auf die Bereiche Verkehrsplanung und Mobilität. Die wesentlichen Forschungsschwerpunkte sind Elektromobilität, Verkehrsmanagement bei Großveranstaltungen und Akzeptanz neuer Technologien im Verkehrswesen. Seit 2014 ist Prof. Dr.-Ing. Josef Becker Teil der Fachgruppe Neue Mobilität und vertritt dort die Themen Schienenverkehr und öffentlicher Personennahverkehr in Lehre und Forschung. An der Befragung waren zudem Alexander Hermann M.Eng. und Dominic Hofmann M. Sc. beteiligt.

Kontakt: Frankfurt University of Applied Sciences, Prof. Dr.-Ing. Petra K. Schäfer, Professorin für Verkehrsplanung, Telefon: 069/1533-2797, E-Mail: petra.schaefer@fb1.fra-uas.de.

Weitere Informationen zur Fachgruppe Neue Mobilität unter: www.frankfurt-university.de/verkehr600_01600_02600_03600_04600_05

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