Nachgefragt: Stadt muss ab 2012 wieder Schulden machen!

Nach  aktuellen Aussagen des Oberbürgermeisters und Stadtkämmerers Dr. Helmut Müller muss die Stadt Wiesbaden ab 2012 wieder Schulden machen. Er prognostiziert für das laufende Jahr ein Defizit von voraussichtlich  88 Millionen Euro und  61,7 Millionen für 2013. Bei dieser Prognose stellt sich doch zwangsläufig die Frage, was sich die Stadt Wiesbaden aktuell und in den kommenden Jahren noch leisten kann. 
Müssen die Politiker im Wiesbadener und die in den Stadtteil-Rathäusern nicht radikal umdenken,  ihre Forderungen nach neuen Investitionen zurückschrauben und ihren Blick auf das Wesentliche richten? 

plusPunktSchierstein stellte diese Frage allen Mitgliedern des Schiersteiner Ortsbeirates und erhielt nachfolgende Antworten:

Urban Egert (SPD) Ortsvorsteher

Sicherlich fehlt es weder den Stadtverordneten, noch den Ortsbeiräten an guten Ideen und an sinnvollen Maßnahmen, die in der Stadt und in den Ortsteilen umgesetzt werden könnten. Leider ist es bei städtischen Haushalt so, wie beim eigenen, privaten Haushalt. Die Einnahmen und die Ausgaben müssen einigermaßen überein stimmen. Wenn ich mehr Einnahmen habe, kann ich auch mehr ausgeben, andererseits muss ich einsparen, wenn die Unkosten steigen bzw. Einnahmen wegbrechen. Das ist privat so und bei der Stadt nicht anders. Im städtischen Haushalt kommt aber noch ein Aspekt hinzu. Wenn dort zu sehr gespart wird und z. B. keine Aufträge mehr an Wiesbadener Firmen vergeben werden, sinken auch gleichzeitig die Steuereinnahmen, Firmen gehen pleite, ziehen weg oder müssen Personal entlassen, dadurch steigen die Sozialausgaben – also ein „Teufelskreis“.

Ich bin also dafür, wie die Koalition beschlossen hat, in die Zukunft zu investieren, Krippen- und Hortplätze zu schaffen sowie bezahlbaren Wohnraum. Darüber hinaus sollten insbesondere Investitionen, die keine oder wenig Folgekosten verursachen, getätigt werden. Vorsichtig sollte man also bei Projekten sein, die erhebliche Kosten nach sich ziehen und keine adäquaten Einnahmen generieren. Beispiel: ich finde es korrekt, dass der Bau des Stadtmuseums nach hinten geschoben wird, da hierdurch neben den Baukosten erhebliche Folgekosten entstehen. Bei der Rhein-Main-Halle ist das anders, es werden Veranstaltungen nach Wiesbaden geholt, Handwerker erhalten Aufträge, Hotels Übernachtungen usw., ein „plusPunkt“ für Wiesbaden.

Wiesbaden muss also zwar sparen, darf aber darüber nicht die Einnahmeseite vergessen. Projekte wie die Neugestaltung des Hans-Römer-Platzes, die für Beschäftigung sorgen und außer den Baukosten keine Nebenkosten verursachen, sollten durchaus realisiert werden.

 

Wilhelm Vogel (CDU)

Die gewählte Fragestellung legt einem die Antwort ja quasi schon in den Mund, und man ist geneigt zu sagen  – selbstverständlich.  – und das kurz und bündig . Nur leider lässt sich die Frage nicht so einfach und kurz beantworten, weil es genauer Differenzierung im Einzelfall bedarf  was wir mit Investitionen erreichen wollen und wie definiert sich das Wesentliche. Beispiel Wiesbaden: 
Z. B. Rhein-Main-Halle: Eine Rieseninvestition die, wenn nicht getätigt – große materielle Verluste an Steuereinnahmen in den kommenden Jahren durch den Abzug von Kongressen etc. und den damit fehlenden Besuchern und Übernachtungsgästen nach sich ziehen würde. Hinzu kommen die Attraktivitätsverluste durch geringere Wahrnehmung Wiesbadens außerhalb der Stadt.

Beispiel Schierstein – Unser attraktiver Stadtteil am Hafen:  Der Hans Römer Platz, ein gepflegtes Hafenumfeld, umfangreiche Sport- und Spielmöglichkeiten an den Rändern des Hafens, ein attraktiver Promenadenrundweg um den Hafen. Große Investitionen die, wenn nicht getätigt – fehlende Attraktivität für auswärtige Gäste und in der Folge keine mehr ausreichende Geschäftsgrundlage für Restaurationsbetriebe und den von Besuchern profitierenden Einzelhandel, die in Schierstein ein immer schwierigeres Umfeld vorfinden (Die Liste der Schließungen oder oftmals im Vorfeld hohen Besitzerfluktuation von Geschäftsbetrieben ist mittlerweile ziemlich umfangreich geworden) mit sich bringen würden.  

Es bedarf also jeweils immer der Vorstellungskraft, Klugheit und Umsetzungsfähigkeit der handelnden Personen und Parteien Konzepte, damit natürlich auch verbundenen Investitionen, zu entwickeln und umzusetzen, die in die Zukunft schauend das Gemeinwesen und die dort lebenden Menschen fördern und in ihrer finanziellen Substanz sichern helfen.

Wenn wir uns darauf beschränken würden, bei allem natürlich im Vordergrund stehenden Wesentlichen und ich definiere damit: Selbstverständlichkeiten wie; Schulen, Kindergärten, Spielplätze, Straßenzustand etc.), nur noch den Mangel zu verwalten würden, ohne auch in der Not perspektivisch zu denken, wären wir am Ende der Fahnenstange angelangt.

 

Volker Birck (SPD)

Ich kennen die Stellungnahme des Ortsvorstehers und kann mich seinen Aussagen grundsätzlich anschließen.  Bei Projekten wie z.B. Hans-Römer-Platz sollte man meiner Meinung nach jedoch auch nach kostengünstigeren Alternativen suchen um Projekte mit aktuell höherer Priorität nicht zu gefährden.  (Schulen, Kindergärten). Ich denke in vielen Fällen (z.B. Hafen) wird auch eine Menge Eigeninitiative gefordert sein.

 

Waltraud Grosser (CD)

Waltraud Grosser (CDU)

Natürlich wissen wir alle von der nötigen Schuldenbremse, wir haben auch dafür gestimmt und sehen es als wichtig. Aber mit den verbleibenden Geldern müssen Prioritäten gesetzt werden, z. B. für unsere Rhein-Main-Hallen. Wenn diese nicht angepackt werden, sehen wir für unsere Stadt Wiesbaden große materielle Verluste in Form von Steuereinnahmen in den nachfolgenden Jahren, die dann entstehen, wenn die Kongresse und Messen etc. aus unserer Stadt abgezogen werden. Es fehlen dann a) die Besucher, b) die Übernachtungsgäste und c) verliert unsere Stadt an Interesse von außen.

Und auch wollen wir uns für unser Schierstein einsetzen und versuchen das Machbare möglich zu machen. Da gibt es viele Baustellen wie z.B. unser Hans-Römer-Platz, unsere Schulen, ein gepflegtes Hafenumfeld, ein attraktiver Hafenrundweg mit Beleuchtung, mehr an Sport- und Spielmöglichkeiten. Das sind Investitionen – die wenn sie nicht gemacht werden – für unser Schierstein bedeutet, dass die nötigen Gäste für unsere Restaurationsbetriebe und die Kunden für unseren Einzelhandel wegbleiben. Wir bestrebt, dass unser Schierstein lebt und werden alles dafür tun.

Thomas Mahler B’90/Die Grünen

Im Schiersteiner Ortsbeirat neigte man schon bisher nicht zum verschwenderischen Umgang mit Steuergeldern. Bei noch engerer Kassenlage muss in parteiübergreifender Feinabstimmung das Wesentliche vom Unwesentlichen heraussortiert werden. Dazu sehe ich bei der momentanen Besetzung des Ortsbeirates gute Voraussetzungen. Stöckelschuh-geeignete Promenaden, die Untertunnelung von Rhein oder Bahn und ähnliche Fantasien gehören ins Reich der Träume und nicht mehr auf die Tagesordnung des Ortsbeirates.

 

Udo Gensicke (CDU)

Udo Gensicke (CDU)

Ihre Frage, ob die Kommunalpolitiker aller Entscheidungsebenen nicht angesichts der für 2012/2013 prognostizierten neuen Schulden der Lhst. Wiesbaden von fast 150 Mio. Euro umdenken müssen, ihre Vorhaben und Forderungen überdenken bzw. reduzieren müssen und „das Wesentliche“ in der Vordergrund stellen müssen, empfinde ich in letzter Konsequenz als eine rein rhetorische Frage. Selbstverständlich wird sich kein halbwegs verständiger und verantwortlicher Kommunalpolitiker dem Druck der neuen Schulden entziehen können.

„Sparen“ ist sicherlich die zentrale Devise. Der größte Teil des Haushalts ist jedoch nicht bzw. nur sehr bedingt dem Rotstift zugänglich. Personalkosten und pflichtgemäß zu erbringende Leistungen binden den überwiegenden Teil des Haushalts. Insoweit wird sich sicherlich nur wenig Einsparpotential identifizieren lassen. Kurzfristig zumeist schon gar nicht. Demgegenüber unterliegt nur der kleine frei verfügbare Teil des Haushalts der kommunalpolitischen Gestaltungsmöglichkeit. Hier lässt sich sicherlich sparen, nur darf dies nicht nach der Rasenmähermethode passieren.

Vor dem Hintergrund welcher Nutzen, langfristige Ertrag und welche Folgewirkungen von den einzelnen Investitionsmaßnahmen ausgehen, wird man identifizieren müssen was „das Wesentliche“ ist. Man wird, unter Berücksichtigung dessen, was man langfristig erreichen will und wie man sich positionieren will, eine Priorisierung der in Frage kommenden Investitionsmaßnahmen vornehmen müssen. Das ist nichts Neues und erfordert kein grundsätzliches Umdenken, da wir es bereits in der Vergangenheit so gehalten haben.

In diesem Sinn sollten und wollen wir das für Schierstein einfordern, was wir auch angesichts der aktuellen finanziellen Situation für erforderlich halten und auf das im Moment verzichten, was u.U. nur nice to have wäre. Bei allem gebotenen Realitätssinn müssen wir uns aber das perspektivische Denken bewahren und das Recht verteidigen langfristige Ziele propagieren zu dürfen.

 

Walter Richters (B’90/Die Grünen)

Nach meiner Einschätzung wird sich für die Arbeit des Ortsbeirats zunächst nicht viel ändern. Wir sind ja an der Aufstellung des Haushaltes der Landeshauptstadt Wiesbaden nur mit einer „Wunschliste“ ohne Entscheidungsbefugnisse beteiligt, und da werden wir sicher auch in Zukunft an unseren dringlichsten Wünschen festhalten, etwa an der Forderung nach Verbesserung der Situation rund um die Schiersteiner Schulen. Wichtig ist allerdings, dass wir mit uns selbst und den Bürgerinnen und Bürgern in Schierstein ehrlich sind: Viele Ideen werden so bald nicht umgesetzt werden können. Ein Beispiel dafür ist die Bahnunterführung in der Freudenbergstraße, sofern nicht das Eigeninteresse der Deutschen Bahn so groß ist, dass sie die Kosten mehr oder minder alleine schultert.

Den Politikerinnen und Politikern im Wiesbadener Rathaus muss man allerdings von Herzen ein gutes Gespür für das Wesentliche und Machbare wünschen, damit die Stadtpolitik nicht durch eine hohe Verschuldung praktisch handlungsunfähig wird.

 

Gisela Neudeck (CDU)

Natürlich müssen alle Beteiligten, sowohl Politiker als auch Bürger, umsichtig und verantwortungsvoll agieren. Schließlich möchten wir keine Griechenlandmisere. Ich möchte von unserer CDU-Fraktion behaupten, dass wir das bereits beherzigen.

 

Bernd Thielmann (Freie Wähler)


Was aus der Headline herauszulesen ist, dass ein Umdenken schon lange hätte stattfinden müssen. Nun, das ist Vergangenheit. Was zukünftig tun? Hier gibt es nur die Möglichkeit der „Parteienproporz“ auszuhebeln und die „Gutmenschen“ in ihre Schranken zu weisen. Nicht dass ich was gegen Gutmenschen habe; nur wenn deren Denken dahin geht, wie sie sich selbst etwas zugutekommen lassen können (eben auch die Anstrengung nach Anerkennung, Macht, Befugnissen, Image,…. etc.) dann können wir weitersehen. Nehmen Sie sich -wie Sie selbst ja schon bemerkten- unseren Ortsbeirat Schierstein heran. Eine Interaktion (auch schon im Vorfeld) ALLER und das Aufgeben von Standesdünkeln lässt nicht nur Konsens zu, sondern auch ordentliche Kompromisse bis hin zum „Gleichdenken“.

Solange also persönliche Profilierung im Vordergrund steht (z. B. muss es dieser oder jener „Pracht“-Bau sein), gibt es da keine Änderung, da ja mit Geld des anderen gedealt wird. Wie können Sie das einschränken? Nun, wie in der Wirtschaft, wenn man eben zur persönlichen Haftung herangezogen werden kann. Das kann auch ein Verlust der Bezüge NACH Amtszeit sein, wenn missgewirtschaftet wurde (nur (m)eine Idee).

Nehmen wir den Hans-Römer-Platz hier vor unserer Tür. Ich hätte diesen Platz auch gerne ansehnlicher. Ist aber partout kein Geld verfügbar, dann sollte man verfügbare Mittel doch lieber in Schulen, Kitas, Bildung stecken. Da wächst das zukünftige Kapital heran. Ergo, es werden zu viel Pfründe verteidigt als neue begehbare Wege gesucht. Ist aber von psychologischer Sicht eben sehr menschlich…………

 

Jens Groth (SPD)

Als Ortsbeiratsmitglied bin ich mir schon bewusst, dass gerade auf der  untersten politischen Ebene solide gearbeitet werden muss. Warum gibt es die Einrichtung „Ortsbeirat“ überhaupt? Doch nur deshalb, weil man von uns erwartet zu erkennen, was für den Stadtteil wichtig ist.

Wären die öffentlichen Kassen voll und wir hätten keine grundlegenden Probleme in den Bereichen Schulen, Gesundheit und Soziales, fielen mir gewiss ganz tolle Projekte für unser Schierstein ein!

Aber auch ohne große öffentliche Investitionen können wir heute und zukünftig gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern, den Vereinen und Verbänden, den Schulen und kirchlichen Einrichtungen beständig an  der positiven Entwicklung Schierstein arbeiten.  Über Infrastruktur in Schierstein muss keiner meckern, diesbezüglich haben andere Wiesbadener Stadtteile größere Sorgen!

Bund, Land und Kommunen müssen sparen – aber bitte nicht an der falschen Stelle! Und damit dies nicht passiert  „braucht das Land“ gewissenhafte Politiker,  ob in Berlin oder im Schiersteiner Ortsbeirat!

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